BK Scholz: Einen schönen guten Tag! Wir haben heute die Klausur unseres Kabinetts in Meseberg mit der Kabinettssitzung beendet. Auf dieser Kabinettssitzung haben wir wie schon zuvor in dieser Klausurzusammenkunft viele wichtige Fragen für die Zukunft unseres Landes besprochen.
Erstes Thema ist wirtschaftliches Wachstum. Das ist mit dem Beschluss über das Wachstumschancengesetz, den wir gefasst haben und der eine umfassende Entlastung für die Wirtschaft enthält und Investitionen anregen soll, jetzt auch ganz konkret geworden. Wir sind in einer Situation, in der das Wachstum nicht so stark ist, wie wir es uns wünschen. Deshalb wollen wir mit diesen Maßnahmen auch dazu beitragen, dass es ein größeres Wachstum gibt, und die Unternehmen dazu ermutigen, jetzt Investitionen zu tätigen, um das möglich zu machen.
Zweites großes Thema unserer Beratung und Zusammenkunft ist der Bürokratieabbau. Auch das hat heute sowohl in der Klausur als auch während der Kabinettssitzung eine Rolle gespielt, als wir unsere entsprechenden Beschlüsse zum Bürokratieabbau und zur Entlastung der Wirtschaft in dieser Frage gefasst haben. Wir werden an diesem Thema aber weiter dranbleiben. Denn tatsächlich haben wir schon im vergangenen und in diesem Jahr eine ganze Reihe von Entscheidungen getroffen, die viele Genehmigungsprozesse beschleunigt haben. Nun setzen wir das mit den heutigen Beschlüssen fort. Aber wir hören nicht auf. Wir brauchen ein großes Deutschlandtempo bei Genehmigungen, und wir brauchen eine Entlastung von unnötigen bürokratischen Prozeduren.
Das Dritte ist die Frage der Digitalisierung. Während unserer Gespräche gestern haben wir sehr umfassend über künstliche Intelligenz diskutiert. Heute haben wir sehr zentrale Entscheidungen vorangebracht, was die Digitalisierung betrifft. Das waren zum einen Gesetze, die sich mit Datenfragen im Gesundheitswesen beschäftigen. Dabei geht es ganz besonders darum, dass wir es möglich machen, dass die Forschung in Deutschland vorankommt, indem Daten genutzt werden können. Das gilt auch für die Datenstrategie, die die Bundesregierung festgelegt hat.
Das sind also drei wichtige Entscheidungskomplexe, bei denen es um die Modernisierung unseres Landes, die Beförderung des Wirtschaftswachstums und um genau das geht, was jetzt in dieser Situation notwendig ist.
Lassen Sie mich vielleicht noch eine Bemerkung zum Schluss anfügen. Wir haben mit dieser und den beiden Sitzungen des Kabinetts zuvor in den letzten Wochen sehr viele, sehr zahlreiche Beschlüsse auf den Weg gebracht, viele Gesetzesvorhaben. Die Sommerpause war für die Regierung produktiv. Das Parlament und die gesetzgebenden Körperschaften unseres Landes haben jetzt viel zu tun. Das ist aber gut so.
BM Habeck: Anknüpfend an das, was der Herr Bundeskanzler gerade gesagt hat, würde ich gern mit einer Runde, die wir gestern Abend gedreht haben, einsetzen, in der wir den Blick einmal geweitet und nicht über die vielen Einzelnormen, Gesetze, Entbürokratisierungsvorschriften gesprochen, sondern versucht haben, den Blick mit einem Gastreferenten aufs Ganze zu heben. Meine Konsequenz daraus ist – ich denke, sie hat sich in vielen Tischgesprächen widergespiegelt -, dass eine Gesellschaft Ziele und Optimismus braucht, diese Ziele auch erreichen zu können. Passiert das nicht, wächst der Zweifel. Aus Zweifel entsteht Angst, und aus Angst Angstmacherei, und dann grassiert der Populismus, der ja im Kern eine Nichtlösungspolitik ist, sondern nur versucht, die Krisen zu verschärfen, um daraus politisches Kapital zu schlagen.
Nun leben wir in Zeiten, in denen man sich Sorgen machen kann, in denen eine gewisse Erschöpfung, eine Krisenerschöpfung nach der Pandemie, dem fürchterlichen, noch fortwährenden Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und den damit verbundenen Turbulenzen, aber auch insgesamt dem großen Druck, den wir spüren und den wir auch umsetzen müssen, schneller zu werden mit allem Möglichen der Transformation hin zur Klimaneutralität, dem Wettlauf bei digitalen Techniken, dem globalen Wettlauf insgesamt eingetreten ist. Es ist also schon sehr viel los, und der Druck auf Gesellschaft und auf Politik ist insgesamt natürlich sehr, sehr hoch.
Die Aufgabe dieser Regierung – das hat, denke ich, diese Tagung noch einmal besonders ausgemacht – ist, zu verstehen, dass verschiedene Blickwinkel eine Stärke sind, dass man voneinander lernen kann und dass Kompromisse etwas Gutes sind, um die Mitte und die Handlungsfähigkeit stabil zu halten. Gut. Diese Geschlossenheit, die ja keine statische ist, sondern eine lernende Geschlossenheit, ins Zentrum zu stellen, das ist sicherlich der Geist dieser Klausur gewesen.
Das hat sich heute in bestimmten und verschiedenen Beschlüssen widergespiegelt. Bundeskanzler Olaf Scholz hat es angesprochen. Gestern haben wir Ihnen schon ein paar Punkte zu dem Wachstumschancengesetz vorgestellt, das heißt, also die Wirtschaftspolitik in den Mittelpunkt gestellt. Heute hat die Entbürokratisierung oder – ich würde anders, positiver formulieren – der moderne Staat weite Räume eingenommen. Dabei haben viele Ministerien zusammengearbeitet, das Innenministerium, sozialdemokratisch geführt, das Justizministerium mit tätiger Hilfe des Finanzministeriums, liberal geführt, und auch mein Haus beziehungsweise das Umweltministerium.
Ich will, ohne jetzt die ganze Herleitung noch einmal wiederzugeben, nur darauf hinweisen, dass wir verschiedene Instrumente identifiziert haben und auch umsetzen, die davor noch nicht da waren, etwa sogenannte Praxischecks, also nicht aus der Verwaltung heraus zu sagen, wie es besser geht, sondern in die Betriebe, in die Unternehmen hineinzugehen, ihnen über die Schulter zu schauen und daraus abzuleiten, wo man Dinge bündeln kann, auch sein lassen kann. Das haben wir beispielsweise beim Smartmeterroll-out und bei Solargenehmigungen schon sehr erfolgreich durchgeführt, und das werden wir in allen anderen Bereichen weiter fortführen. Reallabore und Experimentierräume zu schaffen, ist eine gute Möglichkeit, also einfach einmal Dinge auf den Weg zu bringen und danach erst zu schauen, ob sie wirklich so gefährlich und so schlimm sind, wie man es gedacht hat. Drittens – das hat der Kollege Marko Buschmann heute sehr stark vorangebracht -: auf der europäischen Ebene zu schauen, dass wir die Regulierungsdichte etwas lichten. Insofern war das, glaube ich, atmosphärisch wie inhaltlich eine sehr, sehr gute Tagung.
BM Lindner: Dem möchte ich mich gern anschließen. Es war eine gute Klausurtagung hier in Meseberg. Zum einen hatten wir eine inspirierende Diskussion zum Thema der künstlichen Intelligenz mit unseren Gästen, eine ohne Zweifel grundlegende industrielle Revolution, in der wir gegenwärtig schon im Werden sind, die wir gestalten wollen, damit es sich positiv für unser Land entwickelt. Zum anderen haben wir gute Beschlüsse gefasst. Wir sind eine Regierung, wo gehämmert und geschraubt wird. Das führt zu Geräuschen, wie Sie schon festgestellt haben, aber dabei kommt eben auch etwas heraus. Der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, dass wir das, was an Gesetzgebungsinitiativen wir uns für die sitzungsfreie Zeit des Bundestages vorgenommen haben, auch abgeschlossen haben.
Ich will hier insbesondere unterstreichen, dass wir mit dem Wachstumschancengesetz und mit der Initiative zum Abbau von Bürokratielasten auch ein übergreifendes Signal senden. Es sind nicht nur sieben Milliarden Euro Impulse für das wirtschaftliche Wachstum und 2,3 Milliarden Euro weniger Erfüllungsaufwand für bürokratische Vorgaben. Das ist die Technik. Aber das übergreifende politische Signal ist: Diese Regierung kennt die Lage im Land. Die Regierung kennt die Situation der Wirtschaft, und sie reagiert, sie handelt. – Im Übrigen handeln wir auch agil, wie man der Tatsache entnehmen konnte, dass das Wachstumschancengesetz jetzt ja auch in der Architektur anders ist, als noch vor einigen Monaten geplant. Die degressive AfA auf geringwertige Wirtschaftsgüter ab 1. Oktober kommt beispielsweise dazu, also ein breiter Impuls in die Wirtschaft. Degressive AfA von sechs Prozent für den Wohnungsbau! Auch da sehen wir: Die Situation hat sich erschwert, und wir reagieren. – Die Regierung kennt also die Lage. Sie handelt und ist dabei auch agil und kann sich an andere Erfordernisse anpassen. Das ist doch eine gute Botschaft.
Frage: Herr Bundeskanzler, das Kabinett hat heute eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Förderung des Wirtschaftswachstums beschlossen. Worüber Sie hier in Meseberg noch nicht entschieden haben, ist, wie die Unternehmen von den hohen Energiekosten entlastet werden sollen. Ihre Fraktion hat am Montag ein Konzept für einen befristeten Industriestrompreis beschlossen. Sie haben die Klausurtagung vor der Entscheidung verlassen. Stehen Sie als SPD-Abgeordneter und als Bundeskanzler hinter diesem Konzept?
Herr Minister Lindner, Sie haben den Industriestrompreis schon mehrfach abgelehnt, auch gestern wieder in einem Interview. Ist das ein kategorisches Nein? Sind Sie also nicht bereit, darüber mit den Koalitionspartnern zu verhandeln, und ist die Senkung der Stromsteuer jetzt quasi der Gegenvorschlag der FDP?
BK Scholz: Wir haben uns, wie Sie eben von uns drei gehört haben und auch Ihren Unterlagen entnehmen können, mit der Förderung der Wirtschaft beschäftigt, mit dem Wachstumschancengesetz, vorher schon mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz, das wir nicht in dieser Woche, sondern bereits vorher auf den Weg gebracht haben, und natürlich mit vielen weiteren Maßnahmen, die dazu beitragen, dass unsere Wirtschaft vorankommt. Die Frage der Sicherung einer billigen Energieversorgung ist ein Dauerthema der Regierung. Wir haben schon vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine damit begonnen, darüber nachzudenken, was passiert, wenn die Gasversorgung und die Energieversorgung Deutschlands mit fossiler Energie gefährdet sind. Die Tatsache, dass wir diesbezüglich so früh und zeitig gehandelt haben, hat dazu beigetragen, dass wir durch den Winter gekommen sind, dass es in den Wohnungen und den Fabriken nicht kalt geworden ist, dass die Wirtschaft weiteragieren konnte. Wir haben sehr viel Geld in die Hand genommen, um das, was an Preissteigerungen zwischendurch überall zu spüren war, zu subventionieren. Dabei ging es um viele Milliarden.
Jetzt sehen wir, dass die Preise fallen. Gerade heute wieder sind Meldungen für uns alle lesbar gewesen, dass das mittlerweile auch auf Preise für Unternehmen und für Verbraucherinnen und Verbraucher durchschlägt, dass die Exportkosten für Deutschland insgesamt sinken. Das ist ein Ergebnis der Strategie, die wir entwickelt haben.
Zu unserer Strategie gehört auch, strukturell dafür zu sorgen, dass wir geringe Stromkosten in Deutschland haben, indem wir mit noch neuem Tempo die erneuerbaren Energien ausbauen. Sie sind die Garantie dafür. Ein leistungsfähiges Stromübertragungsnetz, ein umfassender Ausbau der erneuerbaren Energien garantieren Deutschland auch im Wettbewerb gute Preise für Strom und für Energie. Gerade für Strom ist das deshalb so wichtig, weil es im Rahmen der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft auch zu einer erheblichen Ausweitung der Stromnutzung kommen wird und wir deshalb mehr Strom brauchen, und diesen auch billig.
Konsequenz hat das für den Netzausbau. Auch da sind wir mit den Gesetzen vorangekommen. Jetzt werden sehr viele Genehmigungen in kurzer Zeit erfolgen, die noch in der vorhergehenden Legislaturperiode viel später anstanden, als wir sie jetzt angreifen können. Auch das hat unmittelbare Folgen für die Strompreise.
Nur noch einmal dieser Hinweis: Gegenwärtig müssen wir Geld dafür ausgeben, dass Strom nicht produziert wird, der im Norden und Osten Deutschlands mit Windkraft produziert werden konnte, und dann müssen wir Geld ausgeben, um ihn mit Gas oder Kohle im Südwesten der Republik zu produzieren, damit er dort eingesetzt werden kann. Wären die Leitungen schon fertig, würden wir uns zweimal diese Kosten sparen und hätten die strukturellen Vorteile, die aus dem Ausbau der erneuerbaren Energien herrühren, schon da.
Ansonsten wissen wir, dass sich jetzt auch andere mit der Frage beschäftigen, wie man dazu beitragen kann, dass unsere Wirtschaft gute Bedingungen vorfindet. Das ist immer den Schweiß der Edlen wert. Deshalb freuen wir uns, dass unsere Bemühungen, die Sie jetzt hier präsentiert bekommen haben, auch von vielen Gedanken, die andere mit unterschiedlichen Perspektiven haben, begleitet werden. Aber das ist eine Debatte, die erst einmal dort stattfindet und auf die wir gern schauen und uns vor allem darüber freuen, dass das Interesse, Wirtschaftsaktivierung zu betreiben, ein allseitiges ist.
Zuruf: Stehen Sie hinter dem SPD-Vorschlag? Das war die Frage!
BK Scholz: Die Vorschläge der Bundesregierung sind Ihnen bekannt. Das, was wir heute gemacht haben, und das Konzept, das wir verfolgen, habe ich auch erläutert.
Zuruf: Herrn Lindner … (akustisch unverständlich)
BM Lindner: Ich kann mich dem Bundeskanzler in allen Punkten nur anschließen.
Frage: Ich erlaube mir, die Frage vom letzten Mal noch einmal zu stellen. Herr Lindner, wie ist der Stand der technischen Vorbereitungen beim Klimageld?
An alle gefragt: Nachdem das Geld über den Klima- und Transformationsfonds, wenn ich es richtig sehe, bis zum Jahr 2027 schon für andere Projekte verplant ist, gibt es das Geld überhaupt noch?
Was heißt es für die Akzeptanz von Klimapolitik insgesamt, wenn man den Bürgerinnen und Bürgern sagt: „Die in den kommenden Jahren ja stark steigenden CO2-Abgaben, das Geld, bekommt ihr nicht auf anderen Wegen zurück, sondern wir subventionieren damit beispielsweise Chipfabriken“?
BM Lindner: Wir haben die gesetzlichen Grundlagen für einen solchen Auszahlungsmechanismus des Klimageldes ja sehr rasch geschaffen. Jetzt arbeitet die Verwaltung mit Hochdruck daran, die technischen Voraussetzungen zu schaffen und die Daten zu organisieren. Wenn Sie vielleicht einmal mit dem Management Ihres Verlages sprechen, dann wird man Ihnen sagen: Die Beschaffung und die Aktualisierung von Abonnentinnen- und Abonnentendaten, das ist auch eine mühevolle Aufgabe. – Wir schaffen jetzt erst einmal eine Datenbank, und zwar nicht nur die IT, sondern auch den Inhalt, IBAN und Steueridentifikationsnummer zusammenzubringen.
Ich gehe davon aus, dass dieser Auszahlungsmechanismus 2024 zur Verfügung steht und damit, wenn ich es richtig sehe, Robert, deutlich schneller, als wir im Koalitionsvertrag in Erwägung gezogen haben, ein solches Klimageld auszuzahlen. Für die öffentliche Verwaltung ist es ebenfalls ein relativ hohes Tempo, ein solches Instrument, das es vorher nicht gab, technisch zu ermöglichen und die Daten zu sammeln.
BK Scholz: Vielleicht darf ich Folgendes ergänzen. Wir haben uns für diese Legislaturperiode, anders als Sie insinuieren, vorgenommen, die technischen Möglichkeiten, solche Zahlungen zu leisten, zu schaffen. Denn in den Debatten, die wir früher geführt haben, haben die vielen Jahre, die man braucht, bis man die technische Möglichkeit hat, immer dazu geführt, dass wir das Instrument im Rahmen einer konkreten politischen Initiative verworfen haben. Jetzt drehen wir dies um. Wir schaffen erst einmal ganz abstrakt die technische Möglichkeit, die wir dann in den nächsten Jahren zum Beispiel auch bei Wirtschaftskrisen oder in anderen Fällen einsetzen können. Als wir den Bürgerinnen und Bürgern bestimmte Coronahilfen haben zukommen lassen, war das auch nicht einfach. Wir mussten immer Umwege wählen. Wir hatten den Weg einer Direktüberweisung an alle nicht zur Hand. Diese technische Möglichkeit schaffen wir jetzt. Das ist ehrgeizig, und darum kümmern wir uns.
Ansonsten will ich darauf hinweisen, dass wir im Augenblick eine Negativbilanz haben. Denn wir haben die EEG-Umlage, also die Umlage für die erneuerbaren Energien, die über den Strompreis finanziert worden ist, abgeschafft. Sie wird nicht mehr erhoben. Das ist ein Gesamtvolumen in Höhe von 20 Milliarden Euro. Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung haben diese Größenordnung noch nicht erreicht. Die Bürger sind also entlastet worden, bevor wir die Einnahmen hatten.
Frage: Herr Habeck, ich würde gern noch einmal auf den Industriestrompreis zurückkommen. Kritiker sagen, dass es eigentlich eine Scheindebatte sei, weil die EU-Kommission einer solchen Subventionierung ohnehin nicht zustimmen würde. Deswegen hätte ich von Ihnen gern eine Einschätzung. Haben Sie schon mit der EU-Kommission gesprochen? Glauben Sie, dass die EU-Kommission dem überhaupt zustimmen würde?
Herr Lindner, dem Wachstumschancengesetz, das Sie eben hervorgehoben haben, müssen auch noch die Bundesländer zustimmen, die genauso wie die Kommunen einen erheblichen Teil der Kosten tragen müssen. Sind Sie überhaupt zuversichtlich, dass die Länderkammer dem zustimmt, oder droht dieses Paket dort noch verwässert zu werden?
BM Habeck: Zur Debatte selbst hat der Bundeskanzler das Seine gesagt. Aber natürlich gibt es Gespräche mit der EU-Kommission. Es gibt sie sowieso permanent. Auch über den Industriestrompreis wurde immer wieder gesprochen, oder eine Problematik, die ja offensichtlich ist, dass nämlich in Europa die Industrie wettbewerbsfähig produzieren muss. Natürlich gibt es da also einen fortwährenden Gesprächskanal. Mehr ist dazu nicht zu sagen, jedenfalls heute nicht.
BM Lindner: Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf der Bundesregierung beschlossen. Er geht jetzt in das Beratungsverfahren des Deutschen Bundestages und beim Bundesrat. Sowohl Parlament als auch Länderkammer können selbstverständlich noch Änderungen einbringen. So ist das in der föderal verfassten parlamentarischen Demokratie unseres Landes. Ich höre, dass manche der Länder sich noch mehr vorstellen können und auch mehr fordern. Andere haben bei bestimmten Maßnahmen eine bestimmte Skepsis zu Protokoll gegeben. Das werden wir sehen. Das betrifft im Übrigen das Wachstumschancengesetz genauso wie die Kindergrundsicherung. Ich hatte bei der Vorstellung der Kindergrundsicherung gesagt, dass wir sehr genau zuhören, wenn sich Länder und Kommunen einbringen, und das gilt in gleicher Weise auch für das Wachstumschancengesetz.
Einen Punkt möchte ich aber nennen, nämlich den, dass Länder und Gemeinden genauso wie der Bund ein Interesse daran haben müssen, die wirtschaftliche Stärke unseres Landes zu sichern und die Einnahmebasis von Bund, Ländern und Gemeinden dadurch zu sichern, dass wir unserer Wirtschaft einen Impuls geben, dass gewissermaßen eine Investition auch zukünftig eine starke Einnahmebasis dieses Gemeinwesens ist.
Frage: Herr Bundeskanzler, haben Sie auf dieser Klausurtagung auch über geopolitische Fragen gesprochen, zum Beispiel darüber, wie sich Deutschland vor den Auswirkungen einer jetzt auch schon schwächelnden chinesischen Wirtschaft schützen will, aber auch über die Lage in der Sahelregion?
Herr Lindner, Sie hatten davon gesprochen, dass gehämmert und geklopft wird; ich hoffe, ich gebe Sie damit richtig wieder. Gleichzeitig, Herr Bundeskanzler, hat Ihre Partei Sie dazu aufgerufen, als Kabinett geräuschlos zu arbeiten. Muss man sich jetzt also an Hämmern und Klopfen gewöhnen, oder haben Sie womöglich auch Geräuschlosigkeit für einen bestimmten Zeitraum vereinbart?
BK Scholz: Wir werden hämmern um klopfen, aber mit Schalldämpfer.
BM Habeck: Laubsägearbeiten!
BK Scholz: Das soll ja nicht mehr gehört werden.
BM Lindner: Töpfern jetzt!
BK Scholz: Ich finde, es ist ja doch so, dass wir das alles kennen. Ich habe schon vielen Regierungen in Deutschland angehört, als Arbeitsminister und als Finanzminister, und habe auch selbst eine Regierung in einem der 16 Länder geführt, und immer hat es Diskussionen gegeben. Manche haben sich auch sehr lange zugetragen. Aber am Ende müssen Entscheidungen stehen. Gut ist, wenn dieser Prozess des Arbeitens zum einen aktiv ist und man sich nicht vor den Aufgaben drückt. Es ist, glaube ich, ein wirklicher Vorzug der jetzigen Regierung, dass wir viel Liegengebliebenes abarbeiten, dass wir dafür sorgen, dass Dinge vorankommen, die in Deutschland nicht vorangekommen waren, zum Beispiel beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber es ist dann so, dass wir uns schon vorgenommen haben, dass das geräuschloser stattfindet, und dafür haben wir dann technische Möglichkeiten, dass das Hämmern und Klopfen stattfindet, aber weniger laut bei Ihnen ankommt.
Was die anderen Fragen betrifft: Natürlich haben wir die Gelegenheit genutzt, viele Fragen zu diskutieren. Dazu dient ja auch eine solche Zusammenkunft hier, die auch informelle Gespräche ermöglicht. Hinsichtlich der Frage der wirtschaftlichen Entwicklung ist natürlich klar, dass Deutschland eine Exportwirtschaft ist und eine Exportwirtschaft bleiben soll und dass wir die Stärke unserer Volkswirtschaft, in hohem Maße auf globalen Märkten erfolgreich zu sein, nicht infrage stellen, wenn es dann gerade in der Weltwirtschaft eine Schwächephase in der einen oder anderen Region gibt, die wir dann natürlich auch merken. Aber wir können natürlich kein Konjunkturprogramm in China aus Deutschland heraus starten, sondern wir müssen dafür sorgen, dass unsere Unternehmen die gesamte Weltwirtschaft in den Blick nehmen, damit sie überall Exportmärkte haben – das ist auch das, was real geschieht -, damit sie stabil und robust darin sind, eine solche Situation durchzustehen, damit sie auch dabei sind, wenn es wieder losgeht – dafür, dass das irgendwann auch wieder der Fall sein wird, gibt es ja Anzeichen -, und damit dann unsere Stärke als Exportnation wieder allseits gefeiert wird, und zwar zu Recht.
Frage: Herr Bundeskanzler, rechnen Sie noch mit dem grünen Wirtschaftswunder in dieser Legislaturperiode?
Herr Habeck, legen Sie den Industriestrompreis jetzt eigentlich ad acta, oder glauben Sie, wenn sich die Konjunkturdaten in diesem Jahr noch weiter verschlechtern, dass das noch einmal auf die Tagesordnung kommt?
BK Scholz: Ich gehe fest davon aus, dass sich der Umbau unserer Volkswirtschaft auch in einem großen Wachstum niederschlagen wird. Das werden wir auch entsprechend sehen und spüren. Man kann ja auch ausrechnen, was das bedeutet. Wenn wir, und dafür spricht jetzt ja alles, es schaffen, dass 80 Prozent des Stroms und mehr Strom als heute schon 2030, also in knapp sieben Jahren, aus erneuerbaren Quellen stammt, wenn wir davon ausgehen, dass dazu das Stromnetz entsprechend ausgebaut sein wird, was es sein muss, wenn wir davon ausgehen, dass wir gleichzeitig investieren, zum Beispiel in die Erzeugungskapazitäten für Strom mit Gaskraftwerken, die auch mit Wasserstoff betrieben werden können – damit das in den Dreißigerjahren der Fall sein wird, bringen wir die Dinge jetzt auf den Weg -, und wenn wir davon ausgehen, dass es milliardenschwere Investitionen der Stahlindustrie und der Chemieindustrie gibt, um die Wirtschaft von fossilen Ressourcen auf erneuerbare Energien umzustellen, dann ist das alles etwas, das unmittelbar auch neue Beschäftigung in Deutschland an vielen Stellen ermöglicht, damit dann dort in den Fabriken gewerkelt, gehämmert und sonst etwas getan werden kann. Das werden wir dann auch in den Wachstumszahlen spüren.
BM Habeck: Der Bundeskanzler hat ja einleitend gesagt, dass er begrüßt, dass sich so viele Leute Gedanken um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes machen. Das begrüße ich ausdrücklich auch. Das ist ja eine nicht abschließende Aufforderung gewesen.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich wollte eigentlich auch noch nach den Schalldämpfern fragen, aber die Frage haben Sie ja schon beantwortet. Deswegen stelle ich die Frage, ob sich in Sachen der Debatte um die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper vielleicht ein Stimmungsbild innerhalb des Kabinetts ergeben hat. Es gibt ja von Herrn Lindner die Äußerung, dass er gewisse Sympathien für eine Lieferung hätte. Es gibt jetzt immer wieder Meldungen von Frontdurchbrüchen seitens der Ukraine bei der Gegenoffensive. Es gibt auch die Rechnung seitens der Ukraine, Anfang kommenden Jahres mit F-16-Kampfjets Einsätze fliegen zu können. Werden Sie rechtzeitig entscheiden, ob dann deutsche Marschflugkörper mit diesen Jets zum Einsatz kommen können, oder nicht?
BK Scholz: Sie haben ja festgestellt, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger – ganz anders als der eine oder andere, der im öffentlichen Bereich Fragen stellt – sehr einverstanden mit der abwägenden, sorgfältig alle Fragestellungen bedenkenden Politik der Bundesregierung ist. Ich bin überzeugt, dass nur, weil wir es so gemacht haben, wie wir es gemacht haben und auch weitermachen werden, und weil wir uns jede einzelne Entscheidung sehr schwer machen und nicht auf Zuruf entscheiden, sondern dann, wenn wir finden, dass da etwas zu sagen und zu tun ist, das der Grund ist, warum es unverändert eine große Unterstützung für die Politik gibt, die Ukraine finanziell, aber auch mit Waffen zu unterstützen.
Die Wahrheit ist auch: Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Lieferant. Mit dem, was wir tun und was wir weiter tun werden und wofür wir auch finanzielle Vorsorge getroffen haben, tun wir genau das, was jetzt, wie Sie eben selbst gesagt haben, unmittelbar wirksam ist. Es geht also um unsere Panzer, unsere Munition, unsere Artillerie. Es geht um unsere Möglichkeiten, mit der wir Luftverteidigung ermöglichen, mit dem Flakpanzer Gepard und mit IRIS-T, womit wir ein sehr spezielles, sehr erfolgreiches Produkt aus Deutschland, das wir selbst in Deutschland noch gar nicht einsetzen, der Ukraine zur Verfügung stellen. Das gilt für die Patriot-Systeme, die wir immer wieder neu geliefert haben. Genau in diesen Bereichen – Artillerie, Munition und Luftverteidigung – werden wir auch weiter unsere Schwerpunkte sehen.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich habe eine Frage zu Inflation. Das ist ja in letzter Zeit nicht mehr so ein Riesenthema gewesen, weil die ja leicht abgeschwächt ist. Jetzt gibt es aber zum Beispiel in NRW, glaube ich, im August doch wieder einen leichten Anstieg. Wie sehen Sie das? Hoffen Sie da noch auf eine Änderung der Politik der EZB? Sehen Sie die Gefahr einer Inflation in Deutschland gebannt, oder ist das nach wie vor ein Thema, das Sie beschäftigt?
BK Scholz: Inflation ist etwas, das nicht gut ist für die Volkswirtschaft, nicht gut ist für die Wachstumsperspektiven und die Zuversicht, nicht gut ist für die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen, die mit hohen Preisen konfrontiert sind. Deshalb ist es richtig und findet auch die uneingeschränkte Unterstützung der unabhängigen Entscheidung der Europäischen Zentralbank durch die Bundesregierung, dass wir sagen: Das hat jetzt eine große Priorität. Dass die Zentralbank Entscheidungen trifft, die die Inflation zurückführen sollen, ist richtig im Interesse der Geldwertstabilität, der Zukunftsfähigkeit Europas, aber auch der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen.
Wir müssen ja übrigens auch bei den Maßnahmen, die wir zur Wirtschaftsförderung ergreifen, bedenken, dass die so zielgerichtet und so präzise entwickelt werden, dass das nicht zu einem neuen Inflationsschub führt, sondern nur dazu beiträgt, Wachstum anzuregen. Wenn wir also zum Beispiel mit der degressiven AfA für die Bauwirtschaft erst einmal hinbekommen würden, dass alle, die ihre Baugenehmigung haben, sich jetzt einfach entscheiden, das zu machen, damit sie davon profitieren können – darum ist das auch bewusst befristet -, dann würde das schon Wachstumsprozesse auslösen, ohne dass das unmittelbar preistreibend wäre. Das Gleiche gilt für die Unterstützung von Investitionsentscheidungen der Unternehmen durch die degressive AfA. Auch das haben wir sehr zielgerichtet gemacht, damit wir eben keinen eigenständigen Inflationseffekt auslösen.
Ansonsten beobachten wir das sehr genau. Ein großer Teil der Inflation ist ja durch die höheren Energieimportpreise zustande gekommen, die wir zu bezahlen hatten. Es ist deshalb gut, dass jetzt gerade Meldungen eingehen, dass diese Preise erstens zurückgegangen sind, dass wir auch darauf setzen können, dass das so bleibt, und dass sie vielleicht auch weiter zurückgehen. Wir schauen einmal, wie das ist. Gerade heute – ich hatte es vorhin berichtet – ist berichtet worden, dass die Importpreise, die wir bezahlen müssen, erheblich eingebrochen sind. Das klingt immer wie so eine Katastrophenmeldung, aber ist ja eine gute Meldung. Wir zahlen weniger für das Gleiche. Das ist das, was dann auch einen Beitrag zum Rückgang der Inflation leisten kann.
Frage: Das Bild der Ampel in der Öffentlichkeit ist ja weiterhin schlecht, und das liegt vielleicht gar nicht nur an der Regierung, sondern auch an den Fraktionen. Mich würde interessieren, inwieweit Sie glauben, dass Ihre Schalldämpfer auch dort wirken. Es war ja nicht nur in der Vergangenheit so, dass Gesetze als Atombombe für dieses Land bezeichnet werden, sondern jetzt wurde ganz frisch auch wieder die Kindergrundsicherung, für die Sie eine Einigung verkündet haben, aus der FDP-Fraktion als Sozialklimbim bezeichnet. Gleichzeitig gibt es auch den Streit mit der SPD-Fraktion über den Industriestrompreis. Glauben Sie also, dass Sie auch da etwas verändern müssten, und sind Sie optimistisch, dass Sie solche Stimmen eingefangen bekommen?
BK Scholz: Erst einmal glaube ich, dass auch bei den Fraktionen die gleiche Vorstellung wie bei uns herrscht, nämlich dass die doch sehr erfolgreiche Leistungsbilanz nicht dadurch unbesichtigt bleibt, dass gewissermaßen der Weg zur Findung der Entscheidung so laut ist. Das ist jedoch das Merkwürdige: Es ist viel mehr als in den letzten Jahren entschieden worden, in einem unglaublichen Tempo, und ohne diese Entscheidungen wären wir nicht durch die wirtschaftliche Krise gekommen, die mit dem Stopp der russischen Gas-, Kohle- und Öllieferungen verbunden gewesen sein hätte können, und wir wären auch nicht in der Lage gewesen, die grundlegende Modernisierung unseres Landes voranzutreiben, um die es uns ja geht. Denn wenn wir eine Volkswirtschaft sein wollen, die in zehn, 20 oder 30 Jahren noch gute Arbeitsplätze hat, technologisch an der Spitze der Welt steht, selbst wenn dort dann zehn Milliarden Menschen leben, dann müssen wir das jetzt tun. Wir können nicht im Jahr 2040 feststellen, dass wir jetzt etwas hätten machen müssen.
Manches war liegen geblieben, und deshalb ist es auch so ein Kraftakt, das auf den Weg zu bringen. Ich will das noch einmal anhand des Beispiels der Energie sagen: Wir sind in Deutschland zweimal aus der Nutzung der Nuklearenergie ausgestiegen, am Anfang des Jahrtausends unter der Regierung Schröder-Fischer und dann nach einem gegenteiligen Beschluss, erneut in einer schwarz-gelben Koalition, unter Frau Merkel nach dem Reaktorunglück in Fukushima. Wir sind aus der Kohleverstromung ausgestiegen beziehungsweise haben einen Pfad bis 2038. Gleichzeitig sind wir nirgendwo mit dem notwendigen Tempo eingestiegen, was den Ausbau der erneuerbaren Energien und unserer Stromnetze sowie die Frage betrifft, dass wir dann auch eine Struktur brauchen, die sicherstellt, dass wir 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche Strom bekommen. Das geht dann ja nicht nur mit Windkraftanlagen und Solaranlagen und Biomasseanlagen und Wasserkraftanlagen, sondern wir brauchen eben auch für den Rückhalt in speziellen Situationen die vom Minister auf den Weg gebrachten Gaskraftwerke, die mit Wasserstoff betrieben werden können. Das Gleiche gilt für die Entscheidung, die jetzt unmittelbar bevorsteht und für die wir die Gesetzgebung auf den Weg gebracht haben, mit den Investoren im Rahmen einer schweren Milliardeninvestition für viele Jahrzehnte über den Aufbau eines Wasserstoffnetzes zu reden. Das muss jetzt entschieden werden, und daran sind wir mit Hochdruck dran, damit das passiert. Wir haben schon mehrfach mit denen konferiert, die heute im Wesentlichen Gasleitungen betreiben. Wir ändern das Gesetz, damit die Bundesnetzagentur das Gas- und Wasserstoffnetz zusammenbringen kann. Solches Tempo haben wir entfaltet! Wenn man das alles sagt, dann hat man genug zu sagen und muss sich nicht streiten.
Zusatzfrage: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)
BM Lindner: Ach, schauen Sie, die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat Vorschläge dazu unterbreitet, wie sie das wirtschaftliche Wachstum stärken will. Die Fraktion der SPD hat gesagt, sie wolle sich noch sehr genau die Kindergrundsicherung ansehen, die das Kabinett beschlossen hat. So haben die Fraktionen eben den Freiraum und vielleicht auch das Recht, ihre autonome Position zu kennzeichnen und auch eigene politische Projekte auf den Weg zu bringen. Das ist normal in der Demokratie. Es fiel bei Ihrer Frage allerdings auf, dass sie sozusagen recht einfarbig war, und deshalb habe ich mir jetzt erlaubt, zwei andere Farben hinzuzufügen.
Frage: Nun wirken Sie in Ihren Äußerungen hinsichtlich der Politik schon so, als würden Sie derzeit eine sehr positive Bilanz ziehen. Gleichzeitig ist das Stimmungsbild in der Bevölkerung ja eher negativ geprägt. Wie nehmen Sie das wahr? Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?
BK Scholz: Ich glaube, ich kann für alle hier sagen: Die Leistungsbilanz ist gut. Ich habe ein bisschen zu erläutern versucht, wie viel und mit welchem Tempo wir auf den Weg gebracht haben. Gerade auch jetzt in der Sommerpause sind eben viele der notwendigen Vorhaben abgeschlossen worden, sodass jetzt die Gesetzgebung in Bundestag und Bundesrat beginnen kann. Wir alle haben natürlich den Auftrag, nicht durch die Art und Weise, wie wir uns darum bemühen, so viel so schnell auf den Weg zu bringen, übersehen zu lassen, dass wir genau das getan haben. Dieses Vorhaben, das so zu machen, dass alle davon auch überzeugt sind und das erkennen, haben wir hier alle noch einmal bekräftigt.
Zusatzfrage: Wie erklären Sie sich dann, dass das Stimmungsbild in der Bevölkerung doch eher negativ ausfällt? Da besteht dann ja ein Unterschied.
BK Scholz: Ich habe die Antwort auf die Frage eigentlich gegeben.
Frage: Ich habe zwei Fragen, wenn Sie erlauben. Zum einen ist der Tenor auf Ihr Zehn-Punkte-Wachstumsprogramm ja recht einhellig: alles nicht schlecht, geht in die richtige Richtung, aber da muss noch mehr kommen. Das sagen sowohl Ökonomen als auch große globale Investoren, die in der Eurozone investieren. Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben ja auch gesagt, die Wirtschaft solle jetzt ein Arbeitsschwerpunkt der nächsten Monate nach der Sommerpause werden, das ende heute ja nicht. Was wären denn aus Ihrer Sicht die nächsten unmittelbaren Schritte, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken?
Die zweite Frage geht an Herrn Habeck. Sie haben in Ihrem Eingangsstatement die Bedeutung der Klimapolitik betont. Ist es denn ein gutes Zeichen, dass mit Herrn Hoekstra jemand neuer Klimakommissar werden soll, der von Klimapolitik bislang eher nicht so ganz viel Ahnung hatte, um es einmal so zu formulieren, sondern eher auf dem Feld der Außenpolitik beheimatet war?
BK Scholz: Der Mann war auch Finanzminister, wenn ich das sagen darf.
BM Lindner: Und die sind für alles qualifiziert!
BK Scholz: Den kenne ich ganz gut. Das ist damals ein sehr netter und sehr kluger Kollege gewesen, und ich bin überzeugt, dass er seine Arbeit sehr gut machen wird. Ich nehme an, dass das für Minister Habeck genauso gilt.
Was die Frage betrifft: Für uns ist das ein wichtiger Schwerpunkt. Dass alle das, was wir machen, im Großen und Ganzen gut finden, wie Sie berichtet haben, ist ja schon einmal ein gutes Zeichen. Dass der eine oder andere dann „Noch viel mehr, noch viel mehr!“ sagt, und zwar ganz unspezifisch, gehört irgendwie dazu. Die eigentliche Botschaft ist: Ganz gut gelungen! – Das ist ja vielleicht das, was man dann auch festhalten kann.
Wir werden natürlich dranbleiben. Dabei geht es aber auch vor allem um Modernisierungsfragen, die für unsere Volkswirtschaft von allergrößter Bedeutung sind. Deshalb ist es nicht zufällig so, dass wir die Fragen der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz hier zum Beispiel sehr zentral verhandelt haben. Das muss auch und wird auch für unsere Volkswirtschaft von größter Bedeutung sein. Ich will das noch einmal aufgreifen: Künstliche Intelligenz, über die wir hier jetzt sehr umfassend diskutiert haben, ist ja in der Tat eine große Veränderung der Art und Weise, wie wir in bestimmten Bereichen arbeiten werden. Sie wird uns große neue Möglichkeiten schaffen. Wir werden sie auch in den öffentlichen Verwaltungen im großen Umfang einsetzen können. Deshalb war das eine wichtige Sache. Wenn es uns gelingt, die Produktivkraft, die darin liegt, auch für unsere Volkswirtschaft nutzbar zu machen – Tatsache ist, dass es in Deutschland 500 Start-up-Unternehmen gibt, die sich mit dieser Frage beschäftigen, und dass es große Unternehmen gibt, die das in einem großen Umfang tun – und wir damit eine Technologie haben, die auch in Deutschland entwickelt und eingesetzt wird, wird für die Stabilität und die Zukunftsfähigkeit Deutschlands von größter Bedeutung sein.
Ein weiteres Thema unserer Klausur wird noch viele Folgeschritte haben, nämlich der Bürokratieabbau, der viele Facetten hat. Manchmal geht es darum, unnötige Vorschriften, die das Leben von Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen schwerer machen, abzuschaffen. Das tun wir hier. Wir haben heute diskutiert, dass wir das auch mit einer europäischen Initiative begleiten wollen, weil ein großer Teil der Regulierungen, über die sich die mittelständische Wirtschaft, aber auch die großen Unternehmen beklagen, die keinen Sinn machen, sondern einfach so gewachsen sind, aus Brüsseler Feder stammt. Deshalb gehen wir in beide Richtungen vor.
Es wird weiter darum gehen, dass wir, wie wir das schon im letzten und in diesem Jahr gemacht haben, mit vielen gesetzlichen Entscheidungen dazu beitragen, dass Entscheidungen schneller umgesetzt werden können. Der Boom, den es jetzt in Bezug auf Windkraft und Solaranlagen gibt, die Beschleunigung, die es beim Netzausbau gibt, wäre ohne die Gesetze, die wir gemacht haben, nicht möglich. Es darf eben nicht sechs Jahre dauern, sondern es reicht, wenn es ein paar Monate dauert, bis eine Windkraftanlage genehmigt ist. Das möglich zu machen, ist von größter Bedeutung.
Oder es beklagen sich viele Unternehmen bei uns, dass ihre fertigen Anlagen von den lokalen Netzbetreibern nicht angeschlossen werden. Auch da werden wir etwas machen müssen, damit das mit Tempo kommt. Es kann ja nicht sein, dass die Dinger da schon stehen, das Unternehmen von den Solaranlagen auf dem eigenen Fabrikdach profitieren will, aber die Auskunft bekommt: Der Netzanschluss kommt ein Dreivierteljahr später. – Das muss sich ändern.
Zu den Modernisierungspotenzialen gehört auch unsere begleitende Tätigkeit, etwa wenn es um die Elektromobilität geht, die so wichtig ist. Es ist sehr gut, dass die deutschen Unternehmen so weit vorangekommen sind, dass sie Elektrofahrzeuge wettbewerbsfähig anbieten können und das auch mit wachsendem Erfolg tun. Aber wir müssen jetzt natürlich alles dafür tun, dass das Tempo beim Ausbau der Ladeinfrastruktur stimmt. Auch dazu werden wir noch weitere Entscheidungen treffen, die vorbereitet sind.
Wir bleiben also an den Themen Tempo, Beschleunigung, Bürokratieabbau dran und glauben, dass das ein eigenes Wachstumspotenzial für Deutschland entfalten kann.
Frage: Herr Minister Lindner, gibt es aus Ihrer Sicht Dinge im Koalitionsvertrag, die jetzt hintangestellt werden müssen, die man vielleicht nicht mehr machen kann, weil Sie sagen „Wir müssen uns jetzt erst einmal darauf konzentrieren, aus dieser wirtschaftlichen Krise herauszukommen“, oder kann alles abgearbeitet werden, auch sonstige Projekte?
Herr Bundeskanzler, inwieweit sind Sie mit der Ampelregierung bereit, sich daran messen zu lassen, ob das Land aus der wirtschaftlichen Krise herauskommt? Würden Sie sich im Zweifel den Satz zu eigen machen „Wenn es uns das nicht gelingt, haben wir es nicht verdient, wiedergewählt zu werden“, oder sagen Sie „Es gibt eben so viele Parameter, die wir gar nicht im Griff haben, dass man sich da nicht festlegen kann“?
BM Lindner: Alle Vorhaben des Koalitionsvertrags sind gleichberechtigt. Wir haben die Absicht, davon so viele wie möglich umzusetzen. Es ist dann immer eine Frage der Konkretisierung und des Timings. Es gibt Vorhaben, die man schneller umsetzen kann, weil vielleicht auch ein finanzielles Volumen vorhanden ist, und es gibt andere, die nur auf den Weg gebracht, aber noch nicht vollständig abgeschlossen werden können. Das ist immer jeweils eine Frage des einzelnen Projekts.
Richtig ist: Unsere finanziellen Spielräume sind eng. Nehmen Sie nur allein die jüngste Entwicklung in Bezug auf das Bürgergeld. Wir hatten bereits eine Erhöhung des Bürgergeldes geplant, die sich im Finanzplan für 2024 und 2025 findet. Sie ist jetzt aufgrund der allgemeinen Preisentwicklung höher ausgefallen als die ursprüngliche Veranschlagung. Also haben wir wieder Mittel, die wir erst einmal finden müssen, die nicht für Neues zur Verfügung stehen, sondern für die Ausfinanzierung von Bestehendem. Aber das ist das übliche Geschäft.
BK Scholz: Wir werden es hinbekommen, dass wir mit den Impulsen, die wir jetzt setzen, die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands voranbringen. Wir haben auch ausgezeichnete Bedingungen dafür. Das Problem, vor dem wir stehen, ist ja nicht so wie Anfang der Jahrtausendwende, dass wir eine hohe Arbeitslosigkeit haben und viele die Zuversicht verloren haben, dass diese sich ändert. Jetzt werden wir lange Zeit darum ringen müssen, dass wir genügend Arbeitskräfte bekommen. Das können wir aber auch hinkriegen. Denn mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und den jetzt folgenden Maßnahmen für eine möglichst unbürokratische Umsetzung werden wir genau das tun, was die deutsche Volkswirtschaft braucht, ihr nämlich die nötigen Arbeitskräfte zuführen, wenn man das so sagen kann, damit Wachstum auch tatsächlich stattfinden kann. Das ist also eine lösbare Herausforderung. Genau an diese Aufgabe haben wir uns schon gemacht.
Frage: Meine Frage richtet sich zunächst an den Bundeskanzler und dann bitte auch an die beiden Minister.
Es geht um ein Thema, das in diesen Tagen viele beschäftigt. Der Bayerische Rundfunk, die Sendung „Report München“, hat mit einem ehemaligen Mitschüler von Hubert Aiwanger gesprochen, der sich öffentlich und nicht anonymisiert äußert. Er berichtet vom Hitlergruß Aiwangers beim Betreten des Klassenzimmers und von Judenwitzen. In Bezug auf diese Witze gibt es heute offenbar eine eidesstaatliche Erklärung eines anderen Zeugen. Wie bewerten Sie diese Aussagen? Was sollte Ihrer Meinung nach jetzt passieren?
BK Scholz: Alles das, was bisher bekannt geworden ist, ist sehr bedrückend. Deshalb ist für mich sehr klar, dass alles aufgeklärt werden muss. Wenn das geschehen ist, was das Erste ist, und nichts vertuscht und verwischt wird, müssen daraus dann natürlich auch die notwendigen Konsequenzen gezogen werden.
BM Habeck: Ich finde den Umgang mit den Berichten von Herrn Aiwanger unaufrichtig. Vor allem hat Herr Aiwanger in verschiedenen Redebeiträgen offensichtlich in der jüngsten Vergangenheit eine Sprache des rechten Populismus benutzt. Insofern finde ich, dass die Frage an den Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern geht, ob er mit einem Kollegen, der so agiert, in Zukunft weiter zusammenarbeiten will. Ich finde das schwer vorstellbar.
BM Lindner: In Deutschland darf es niemals Platz für Antisemitismus geben. Das ist der demokratische Grundkonsens. Er darf auf keinen Fall relativiert werden. Die Vorwürfe gegen Herrn Aiwanger sind bestürzend. Der Umgang und die Aufklärungsbereitschaft sind in meinen Augen bislang nicht glaubwürdig. Deshalb muss hier dringend Klarheit mit den dann gegebenenfalls notwendigen Konsequenzen geschaffen werden, die er selbst oder der bayerische Regierungschef ziehen muss.