Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Fernsehansprache zur aktuellen Lage in der Corona-Pandemie am 3. April 2021 in Schloss Bellevue

Bundespräsident Steinmeier reist nach Finnland. Copyright © alexander´s-IMAGES/ Schuhmann Alexander

Guten Abend Ihnen allen an diesem zweiten Ostern in der
Pandemie.
Vor einem Jahr hatten wir uns aufs nächste Ostern gefreut, auf
einen Frühling ohne Pandemie. Aber unsere Hoffnung hat sich nicht
erfüllt. Im Gegenteil, die dritte Welle trifft uns gerade mit aller Härte.
Ich weiß, nach 13 Monaten helfen Durchhalteparolen nicht weiter.
All die Appelle zu Geduld und Vernunft und Disziplin werden stumpf in
diesen zermürbenden Zeiten. Ein Gefühl von Ohnmacht und Frust macht
sich breit, und so kommt zu den Sorgen über Gesundheit, Schule, Arbeit,
Wirtschaft eine weitere Dimension hinzu: eine Krise des Vertrauens. Vor
allem deshalb wende ich mich heute an Sie.
Vertrauen – das beruht in einer Demokratie auf einer sehr fragilen
Übereinkunft zwischen den Bürgern und ihrem Staat: Du, Staat, tust
Deinen Teil; ich Bürger tue meinen.
Ich weiß: Sie, die Bürgerinnen und Bürger, tun in dieser
historischen Krise Ihren Teil! Sie leisten viel, und Sie verzichten auf viel.
Bei manchen geht es im Lockdown längst nicht mehr um verlorenes
Einkommen, es geht um die blanke Existenz. Umso mehr verstehe ich
die Ungeduld, den Frust über die Rückschläge der vergangenen Monate.
Es ist viel getan worden, auch viel gelungen. Trotzdem: Es gab Fehler –
beim Testen, beim Impfen, bei digitalen Lösungen.
Die Pandemie hält unserem Land den Spiegel vor: der Hang zum
Alles-regeln-Wollen, unsere Angst vorm Risiko, das Hin-undHerschieben von Verantwortung. Wie wir das ändern und wie wir auch
unsere Institutionen krisentauglicher machen, all das wird aufzuarbeiten
sein. Jetzt aber sind wir mitten in der dritten Welle! Und jetzt braucht es
alle Kraft von allen Seiten, um sie zu brechen.
Die nächsten Wochen werden noch einmal herbe Einschränkungen
fordern, das wissen Sie so gut wie ich. Umgekehrt will ich Ihnen
versichern: So wie die Pandemie Ihnen viel abverlangt, so dürfen Sie
auch viel von der Politik verlangen. Ihre Erwartung an die Regierenden
ist klar: Rauft euch zusammen!
Natürlich gibt es nicht den einen Königsweg heraus aus der
Pandemie. Und deshalb braucht es den politischen Streit – aber der
Streit darf nicht zum Selbstzweck werden. Bund oder Land, Partei oder
Koalition, Umfragen rauf oder runter, das darf jetzt nicht die Hauptrolle
spielen! Wir brauchen Klarheit und Entschiedenheit, wir brauchen
verständliche und pragmatische Regelungen, damit die Menschen
Orientierung haben, damit dieses Land wieder das aus sich herausholen
kann, was in ihm steckt.
Doch seien wir ehrlich. Rauft euch zusammen! – das ist berechtigt,
aber es reicht nicht. Raufen wir uns alle zusammen, liebe Landsleute!
Holen wir raus, was in uns steckt! Empören wir uns nicht nur über die
anderen oder über die da oben. Zeigen wir doch nicht ständig, was nicht
geht, sondern dass es geht, wenn alle ihren Teil tun. Das ist mir wichtig,
wenn ich von Vertrauen spreche. Denn am Ende ist Vertrauen in der
Demokratie nichts anderes als dies: uns selbst vertrauen!
Und dafür haben wir jeden Grund. In Rekordzeit wurden Impfstoffe
entwickelt – ganz wesentlich hier in Deutschland. Jetzt geht es weiter:
Die Impfstofflieferungen ziehen in den kommenden Wochen kräftig an,
die Produktion in Europa wird ausgebaut, die Hausärzte steigen jetzt ins
Impfen ein. Ich habe vorgestern meine erste Impfung erhalten, und ich
vertraue allen – ich betone: allen – in Deutschland zugelassenen
Impfstoffen. Das Impfen ist der wichtigste Schritt auf unserem Weg aus
der Pandemie – also nutzen Sie die Möglichkeiten! Machen Sie mit!
Leider ist der Weg länger als erhofft. Nicht nur für uns – viele
unserer Nachbarn trifft es sogar noch deutlich härter. Manch andere sind
weiter als wir. Am Ziel jedenfalls ist noch keiner. Und Bilanz sollten wir
erst am Ende ziehen.
Wissen Sie noch? Vor einigen Monaten, nach der ersten Welle, da
wollten wir uns schon mit Genugtuung als Pandemieweltmeister sehen.
Und heute? Das glatte Gegenteil. Heute überbieten wir uns geradezu in
Schwarzmalerei.
Ich frage mich: Warum muss es in Deutschland eigentlich immer
der Superlativ sein – himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt?
Die Wahrheit ist: Wir sind nicht Pandemieweltmeister, wir sind
aber auch nicht Totalversager. Sondern wir sind die Bundesrepublik
Deutschland. Wir zweifeln viel, aber wir können auch viel! Und aufs
Können, nicht aufs Zweifeln, kommt es jetzt an.
Wir leben zusammen in diesem Land, und wir wollen gemeinsam
eine gute Zukunft. Also: Haben wir doch Vertrauen in uns, und geben
wir acht aufeinander!
Liebe Landsleute, für Christen bedeutet Ostern die Gewissheit,
dass der Tod und das Bedrückende nicht das letzte Wort haben – und
ein Fest der Hoffnung soll es für alle Menschen in unserem Lande sein.
Zu dieser Hoffnung haben wir guten Grund. Ich wünsche Ihnen ein
frohes Osterfest.