Zum 100. Geburtstag von Willi Sitte
Er war die Eminenz unter den DDR-Künstlern. Seinen Pinselstrich kannte das ganze Land. Willi Sitte hat die Nacktheit stilisiert, unbekleidete menschliche Körper in allen Drehungen und Stellungen. Mit Stift und Pinsel hat er das Private öffentlich gemacht. In seinem Werdegang finden sich vielfältige Ausdrucksmittel und Stile. Jahrzehntelang hat er experimentiert, hat sich in die klassische Moderne verliebt, hat neue Formen gesucht und verworfen.
Als Kind eines deutschen Gemüsebauern wird er im tschechischen Kratzau geboren. Schon in der Schule zieht sein zeichnerisches Talent alle Aufmerksamkeit auf sich. Er sammelt Erfahrungen als Musterzeichner in der Teppichproduktion, dann schickt man ihn zur NS-Meisterschule für monumentale Malerei, die er unter Protest bald wieder verlässt. Als Wehrmachtssoldat kommt er 1944 in das norditalienische Montecchio Maggiore und wechselt die Front. Er desertiert, schließt sich den Partisanen an. Beim Aufbau des Sozialismus im Osten Deutschlands war er von Beginn an dabei – aus politischer Überzeugung. Der Widerspruch zwischen seiner kommunistischen Überzeugung, seiner ungebrochenen Staatstreue und seinem Beharren auf der Eigenständigkeit der Kunst hat ihn ein halbes Jahrhundert begleitet.
Der nach der Wende als Staatsmaler geschmähte Sitte genoss zu DDR-Zeiten die höchsten Ehrungen, agierte als Präsident des Künstlerverbandes und als Mitglied in Volkskammer und Zentralkomitee. Doch der Künstler Willi Sitte, war den Genossen suspekt. Sitte wollte der Kunst einen revolutionären Schwung verleihen, was ihm Rügen, Parteistrafen und immer wieder den Vorwurf der Dekadenz und des Formalismus eintrug. Am 25. Februar 2021 wäre Willi Sitte 100 geworden.
Autor: Reinhold Jaretzky
Ist die Meinungsfreiheit an deutschen Hochschulen in Gefahr?
Die Meinungsfreiheit an deutschen Hochschulen ist in Gefahr – das glaubt jedenfalls eine wachsende Gruppe Professorinnen und Professoren, die sich in dem neuen ‚Netzwerk Wissenschaftsfreiheit‘ zusammengeschlossen haben. Gefahr droht ihrer Meinung nach vor allem durch die sogenannte „Cancel Culture“, prominente Beispiele sind die Proteste Studierender gegen die Rückkehr des AfD-Mitbegründers Bernd Lucke an die Uni Hamburg oder auch die Aktionen gegen Herfried Münkler und Jörg Baberowski an der Berliner Humboldt-Universität.
„ttt“ spricht mit Netzwerk-Mitbegründerin Prof. Dr. Ulrike Ackermann und dem Dramaturgen und Autor Bernd Stegemann, der in seinem neuesten Buch „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ für eine neue Debattenkultur plädiert.
Autorin: Petra Böhm
Panorama einer paralysierten Gesellschaft – Ljudmila Ulitzkaja „Eine Seuche in der Stadt“
Der Satz, der einem die Sprache verschlägt, steht am Ende des neuen Buches von Ljudmila Ulitzkaja und ist als Trost gemeint: „Es war die Pest, nur die Pest.“ Gibt es etwas Schlimmeres als den schwarzen Tod? Ja, sagt Ulitzkaja. Die politische Pest. Ihr Buch, „Eine Seuche in der Stadt“, erzählt von einem Pestausbruch in Moskau 1939. Eine Seuche, die die Partei in einem Dekret 1938 für ausgerottet erklärt hatte. Auf anfängliche Ratlosigkeit folgt staatliche Entschlossenheit bei gleichzeitiger Verschwiegenheit.
Der Geheimdienst NKWD, geschult im Aufspüren von Leuten, übernimmt die Kontaktnachverfolgung, spürt Infizierte auf und isoliert sie. Die Aktion – ein voller Erfolg. Den Pestausbruch hat es tatsächlich 1939 so gegeben. Ljudmila Ulitzkaja nimmt die Katastrophe als Sujet, um über die Deformation der Gesellschaft in einer Diktatur zu erzählen. Die Seuche offenbart die Krankheit des Systems. Das Buchmanuskript ist vierzig Jahre alt und brandaktuell. Nicht die Pest, Corona hält die Welt seit einem Jahr in Atem. Und Diktaturen scheinen erfolgreicher als Demokratien mit ihren Maßnahmen zu sein. Ein Irrtum, weiß Ljudmila Ulitzkaja, die ihr halbes Leben in Diktaturen zugebracht hat. Gegen eine Krankheit kann man auf die Wissenschaft hoffen, gegen ein krankes politisches System ist die Wissenschaft machtlos.
Autorin: Gabriele Denecke
„Not Your Muse“ – Die Soulsängerin Celeste über Selbstbestimmung und große Erwartungen
Als wir Celeste Epiphany Waite in London treffen, kann sie ihr Glück noch gar nicht fassen: gerade erst ist ihr Album „Not Your Muse“ an die Spitze der britischen Charts geklettert. Nummer eins! Und das mit einem Debüt. Schon seit ein paar Jahren begeistert die 26-jährige Sängerin die Welt mit ihrer Musik, vor allem aber mit ihrer hinreißenden Stimme. Und mit der singt sie den Soul, wie es nur die ganz Großen machen. „Die neue Adele, die neue Amy Winehouse!“, urteilt die Presse. Celeste kennt die Vergleiche, die bis zu Aretha Franklin reichen, bedankt sich bescheiden und versucht, sich nicht festlegen zu lassen. In großartigen Balladen wie „Strangers“ oder „Both Sides of the Moon“ zeigt sich die klassische, ja zeitlose Schönheit ihres Gesangs. „Stop This Flame“ und „Love is Back“ wiederum beweisen, dass die junge Frau aus Brighton durchaus auch den großen Pop beherrscht. In „ttt“ spricht sie über große Erwartungen, musikalische Früherziehung und darüber, sich niemals verbiegen zu wollen.
Autor: Marcus Fitsch