Die abschließenden zwei Runden im Titelkampf sind eingeläutet: Hockenheim bereitet am kommenden Wochenende (06.–08. November) der DTM und den Titel-Antagonisten die Bühne zum ultimativen Showdown. In der rot-weißen Ecke: René Rast (GER, Audi), Titelverteidiger und Tabellenführer. In der grün-weißen Ecke: Nico Müller (SUI, Audi), Herausforderer und Tabellenzweiter. Und da ist noch Robin Frijns (NED, Audi), der rechnerisch ebenfalls Champion werden könnte. Eine Vorhersage wagen? Möglich, aber sinnlos – denn an überraschenden Wendungen mangelt es der 2020er-Saison der DTM wahrlich nicht. Und so dürfen sich die TV-Zuschauer auf sportlich herausragende Final-Rennen, spektakuläre Duelle und packende Action (Samstag und Sonntag jeweils ab 13:00 Uhr live bei TV-Partner SAT.1) freuen.
If in doubt … – für Müller und Frijns zählen nur Vollgas und Top-Platzierungen
Zwei, die nichts zu verlieren haben: Für die beiden Teamkollegen vom Audi Sport Team Abt Sportsline, Nico Müller und Robin Frijns gilt als Marschrichtung eine der ewigen Motorsport-Weisheiten: „If in doubt – flat out“ (= „Im Zweifel Vollgas“). Denn ihre Ausgangslage ist simpel: Beide müssen im großen Stil Punkte auf René Rast gutmachen, um das Blatt auf der Zielgeraden der Saison noch einmal zu wenden. Müller hat 19 Punkte Rückstand, Robin Frijns 41. Maximal zweimal 25 Zähler je Sieg sind noch zu vergeben – drei weitere je Pole-Position. Aus eigener Kraft kann keiner der beiden Kandidaten ausreichend Punkte gutmachen, nur 16 sind bei voller Ausbeute in den beiden Hockenheim-Rennen gegenüber dem theoretisch jeweils Zweitplatzierten maximal möglich. Als Duo jedoch, ließe sich das Blatt durchaus aus eigener Kraft wenden – etwa, wenn die „Äbte“ jeweils die beiden Top-Platzierungen in Qualifyings und Rennen sichern und Nico Müller dabei jeweils den Spitzenplatz einnimmt.
To finish first … – kalkuliertes Risiko das Mittel der Wahl für René Rast
Das heißt im Umkehrschluss auch: René Rast hat die erfolgreiche Titelverteidigung in seinen eigenen Händen. Dazu müsste er „nur“ in beiden Qualifyings und beiden Rennen wenigstens Zweiter werden – dann wäre ihm die große Trophäe nicht mehr zu nehmen, ganz gleichgültig wie die Kontrahenten abschneiden. Dabei sind auf jeden Fall verboten: Fehler, Rückschläge, Ausfälle. Für Rast gilt der eherne Racing-Grundsatz „To finish first, first you have to finish“ (= „Um zu siegen, musst Du erst einmal ins Ziel kommen“). Denn René Rast hat etwas zu verlieren. Dass ein „Worst case“ allerdings eintritt, erschien zuletzt äußerst unwahrscheinlich: Mit zwei unwiderstehlichen Zolder-Rennen verwandelte Rast einen 47-Punkte-Rückstand in einen 19-Punkte-Vorsprung –wenn man so will die vielleicht wichtigste „Route 66“ in Richtung Titelverteidigung. Rast reist mit gestärktem Selbstvertrauen nach Hockenheim. Würde ihm der Titel gelingen, wäre es sein dritter in der DTM. Rast stünde damit auf einer Stufe mit Legende Klaus Ludwig. Nur Bernd Schneider kann mit fünf Titelgewinnen auf mehr verweisen.
Zünglein an der Waage – die Aufsteiger der Saison möchten noch einmal glänzen
Sie sind jüngsten „Newbies“ auf dem DTM-Podium: Robert Kubica (POL, BMW) und Ferdinand Habsburg (AUT, Audi). Zuvor war es anno 2020 Sheldon van der Linde (RSA, BMW), der sich zunächst in Kreis der Top-3-Piloten eintrug, später gar in die Siegerlisten. Sie sind die ersten Kandidaten, die die genannten mathematisch-theoretischen Meisterschafts-Szenarien zu bloßen Rechenbeispielen degradieren könnten – Sheldon van der Linde greift nach Platz vier in der Meisterschaft und möchte so als „Best of the rest“ die Saison abschließen. Für Kubica und Habsburg gilt es, die zuletzt starken Leistungen und Podiumsplatzierungen aus Zolder und den Aufwärtstrend während des DTM-Jahres 2020 zu bestätigen. Gleichzeitig gibt es – eben typisch DTM – ausreichend weitere Kandidaten auf Überraschungen und Achtungserfolge.
Austragungsort Hockenheim: großer strategischer Spielraum für Fahrer und Ingenieure
Zwei Einflüsse geben den Fahrern und Ingenieuren in Hockenheim in ihren Kombinationsmöglichkeiten einen enormen strategischen Spielraum. Mit den kühleren Temperaturen bauen die Hankook-Einheitsreifen während der Rennen weniger stark ab – der Pflichtboxenstopp könnte so zum kreativen Mittel werden, Boden im Rennen gut zu machen und die Konkurrenz zu überraschen. Etwa mit radikalen Strategien, die zum sogenannten Over- oder Under-cut führen, also mit besonders nach hinten herausgezögertem oder enorm früh gelegtem Stopp dem dichten Verkehr zu entgehen – abhängig von der der jeweiligen Position des Fahrers.
Ein anderer Aspekt für strategische Freiheit liegt in dem Typus der Rennstrecke in Hockenheim selbst. Sie erlaubt grundsätzlich zwei unterschiedliche Herangehensweisen an die Fahrzeugabstimmung. Entweder setzt man auf hohen Top-Speed durch weniger oder auf hohe Kurvengeschwindigkeiten durch deutlich mehr aerodynamischen Anpressdruck. Der ebene Asphalt und die flachen Randsteine des Hockenheimrings erlaubt zudem niedrige Bodenfreiheiten der Fahrzeuge. Die Experten erwarten einen Vollgas-Anteil von rund 74 Prozent. Der konzertierte Einsatz der Über- und Aufholhilfen DRS (Drag Reduction System) und PTP (Push-to-pass) wird im Rennen pro Runde mit einem Vorteil von rund sieben Zehntelsekunden geschätzt.